Vor 2 ½ Jahren wurde die Schulgemeinschaft unseres Gymnasiums durch eine besondere Gruppe erweitert. Durch das Ankommen der aus der Ukraine geflüchteten Familien haben viele Klassen neue Mitschüler bekommen. Doch auch trotz der Gemeinschaft innerhalb einer Klasse oder Stufe bleiben viele von ihnen unbekannt. Ich würde behaupten, dass sie für viele Schülerinnen und Schüler unserer Schule nur die Gruppen an den grünen Tischen im Treppenhaus, oder in der Aula während den Pausen bedeuten. Wir, als Redakteure der Schülerzeitung, haben uns dazu entschlossen, dem Rätsel um die Ukrainer auf den Grund zu gehen. Frau Künkele und ihr Deutschkurs haben sich dazu bereiterklärt, mit uns ein Interview durchzuführen und einige Fragen zu beantworten. Wir trafen uns also an einem Dienstag zur 10. Stunde im Lernbüro und gesellten uns zu den Neun, die uns freundlich begrüßten. Vorab schon einmal ein großes Dankeschön für die Zeit und Geduld. Die folgenden Fragen haben wir so den Ukrainern gestellt:
Woher kommt ihr? Und wie hat sich eure Heimat seit dem Krieg verändert?
Die Heimatsorte unserer ukrainischen Schüler liegen weit über die Ukraine verteilt. Odessa, Donezk, selbst die Hauptstadt Kiew liegt auf dem Radar. Als sie in Münsingen ankamen, waren sie völlig Fremde.
Doch mittlerweile ist das Eis gebrochen: Die Gruppe hat ein sehr unterhaltsames und lebhaftes Miteinander. Dies durften wir am Dienstag auch selbst miterleben.
Trotzdem ist Platz für schwierigere Themen.
Wir stellten die Fragen, wie es mittlerweile in der Ukraine zuginge und wie sie sich wegen des Krieges verändert hätte. Zwei Mädchen des Deutschkurses kommen aus einer besetzten Stadt. Sie erzählten von den dort herrschenden Umständen: in der zerstörten Stadt gibt es oft kein Licht, Internet oder Wasser. „Es ist keine Ukraine mehr“. Die Menschen dort, so wie in vielen anderen Gebieten, sind mittlerweile gewöhnt an die Bombardierungen und Unterdrückung, an die Warnungen, sich schnellstmöglich in Sicherheit zu begeben und abzuwarten. Die Situation im Land verbindet die Leute auf eine Weise. Sie versuchen nach vorne zu sehen und die Sache gemeinsam irgendwie zu bewältigen.
„Ich würde sagen, im Osten, also alle Gebiete, die nah an Russland sind, sind alle besetzt“, meinte eine weitere Schülerin. Die genaue Verteilung ist schwierig zu erfassen.
Viele der ukrainischen Schüler haben in solchen Gebieten noch Familie, welche sie trotz der Risiken besuchen kommen. „Man muss einfach hoffen, morgens aufzuwachen.“
Wie kam es bei euch zur Flucht? Wie war das für euch?
„Es war eine Familienentscheidung.“ Viele Familien sahen zurecht eine zu große Gefahr in dem sich ausbreitenden Krieg. Auf die Frage, wie es um ihre ukrainischen Freunde steht, gab es eine knappe Antwort: „Sie sind weg. Überall verstreut, nicht nur in Europa, in der ganzen Welt.“ Manche flüchteten sich in andere Städte der Ukraine, während andere komplett ausreisten. Sie hatten nicht gewusst, wo sie hinkommen würden. Irgendwo in Europa. Dass es ausgerechnet die kleine Stadt Münsingen wurde, war reiner Zufall. Heute hat sich die Gruppe jedoch gut eingelebt.
Und auch wenn es Momente gibt, in denen sie sich in Deutschland lediglich wie Gäste fühlen, gibt ihnen die „Normalität“ Sicherheit.
Vermisst ihr die Ukraine? Und vor allem, was vermisst ihr am meisten? Wer kann sich vorstellen, zurückzugehen?
„Ich denke, wir alle,“ bemerkte ein Mädchen. Sie vermissen ihr altes Leben. Ihre Freunde, die Stadt, das Spazierengehen, ihr Haus, das Essen (was in Kiew besser und vor allem vielfältiger zu sein scheint).
„Wir vermissen es, doch nicht jeder will zurückgehen,“ bemerkte ein anderes Mädchen. Einige wollen studieren, andere schauen, wo sie das Leben noch hinführt.
Was ist in Deutschland anders als in der Ukraine? Gab es irgendwelche überraschenden Momente für euch?
Zum einen haben wir über die deutsche Architektur gesprochen. Vor allem in Münsingen ist sie sehr mittelalterlich und einfach deutsch. Auch die Dorfmentaliät „Jeder kennt jeden“ ist für unsere ukrainischen Jugendlichen sehr amüsant. Die Bürokratie Deutschlands ist da etwas anstrengender. Während in der Ukraine schon sehr viel Bürokratisches, wie das Einreichen von Passfotos, digital abläuft, bleibt Deutschland bei der herrlichen Methode der Post oder des Antretens im Rathaus.
Einige überraschende, auch schockierenden Momente für die Ukrainischen Schüler waren die Läden, welche Sonntags geschlossen sind, so wie der Pfand. Beide Länder haben ihre Verschiedenheiten, doch trotz allem finden sich unsere Ukrainer hier gut zurecht.
Wie ist die Schule in der Ukraine und gibt es große Unterschiede zu Deutschland?
Auch die Schulen sind anders als bei uns in Deutschland. Die Schüler selbst beschreiben, dass das System in der Ukraine strenger und schwerer, aber auch schneller und kürzer als in Deutschland ist. Sie haben nach jeden 45 Minuten eine Pause die 15-20 Minuten lang ist, wodurch sie keine Doppelstunden haben. Dafür haben sie keine Mittagspause. Außerdem haben sie 7-9 Fächer am Tag.
Auch das Notensystem zeigt einen Unterschied zwischen Deutschland und der Ukraine auf, den dort wird jede einzelne Stunde benotet. Außerdem bekommen sie jeden Tag und meist auch in jedem Fach Hausaufgaben auf, somit bleibt ihnen kaum Freizeit und wenn sie die Hausaufgaben nicht gemacht haben, gibt es eine schlechte Note für die Stunde. Die Noten gehen in der Ukraine von 1-12, dabei ist 12 die beste und 1 die schlechteste Note, für das Abitur gibt es jedoch, wie in Deutschland, eine andere Benotung.
Ukrainische Schüler haben auch andere Fächer wie wir in Deutschland. Natürlich Ukrainisch, aber auch zwei Fächer für Geschichte: einmal die Ukrainische Geschichte und noch die weltweite, dies ist auch in der Literatur der Fall. Sie haben dafür kein NWT, Religion/Ethik oder Französisch. Auf die Frage, ob die Schule in Deutschland besser sei, antwortete ein Junge: „Meine Meinung ist, dass es hier in Deutschland besser ist als in der Ukraine“.
Manche von unseren ukrainischen Mitschülern machen während der Schule in Deutschland noch ihren Ukrainischen Abschluss. Es gibt dort aber nur zwei mögliche Abschlüsse. In der 9. Klasse Realschulabschluss und in der 11. Klasse dann Abitur.
Wie sieht es mit dem Umweltschutz in der Ukraine aus?
Umweltschutz ist ein großes Thema hier in Deutschland, doch nicht in der Ukraine. Dort gibt es nämlich keine Mülltrennung oder den Pfand. Das spielt alles eher in den westlichen Ländern eine große Rolle. Auch die hier stark vermissten Plastik Strohhalme sind in der Ukraine noch erlaubt.
Welche Probleme habt Ihr in der Schule (Aufnahme, Dazugehörigkeit)?
Frau Künkele‘s berechtigte Sorge ist, dass die ukrainischen Jugendlichen hier in einer „kleinen Parallelwelt“ leben und sich mehr in Ihrer eigene Bubble befinden. Unsere ukrainischen Mitschüler selbst sagten: „Schüler wollen nicht mit uns kommunizieren“ , aber es sei auch von Klasse zu Klasse anders. Trotzdem sollte von beiden Seiten mehr kommen, keine Ausgrenzung einerseits doch auch Wertschätzung und Aufnahme Andererseits. Und oft kann es auch passieren das Menschen perfekte Fachkenntnisse mit schlechter Ausdrucksweise und Sprachbarriere vermischen, weshalb Leute nicht mit ihren ukrainischen Nebensitzern zusammenarbeiten wollen, da sie durch die schlechte Ausdrucksweise denken, diese könnten das Fach nicht. Man sollte offen bleiben, denn auch der ukrainische Teil unserer Schulgemeinschaft ist, laut Frau Künkele, schon viel offener als noch vor 2 ½ Jahren.
Wie wird Weinachten bei euch Gefeiert?
Weinachten steht vor der Tür und deshalb haben wir unseren Befragten abschließend die Frage gestellt, wie sie Weinachten Feiern. Daraufhin haben wir sehr interessante antworten bekommen. Die meisten feiern mehr Neujahr, da in der Sowjetunion Religion verboten war und diese Gewohnheiten beibehalten wurden. Früher wurde bei ihnen, durch die orthodoxe Kirche, Weinachten erst am 6./7. Januar gefeiert. Der 6. ist Heiligabend. Da gehen Kinder und Jugendliche, ähnlich wie an Halloween nur ohne Kostüme, durch die Straßen, singen Weihnachtslieder, sagen Gedichte auf und Wünschen Glück und Gesundheit. Dafür bekommen sie dann Süßigkeiten oder Geld. Am 6. gibt es außerdem 12 unterschiedliche Gerichte ohne Fleisch. Und erst am 7. wird dann richtig gefeiert. Seit ein paar Jahren wird in der Ukraine, wie in Europa, aber auch am 24/25.12 gefeiert.
Wie ist Silvester in der Ukraine?
Es wird, genau wie in Deutschland, in der Nacht vom 31.12 auf den 01.01 gefeiert. Silvester wird bei ihnen verbunden mit der fehlenden Religionsfreiheit in der Sowjetunion. Das Essen zum Neujahr ist Kutja ,eine süße Getreidespeise. Diese wird jedoch nicht sehr positiv aufgenommen, da sie sehr umstritten ist. Außerdem ist es anscheinend nicht sehr deliziös, doch vorallem alte Menschen mögen es.
Fazit: Die ukrainischen Schüler müssen jetzt an die Zukunft denken ,eine gute Perspektive finden, ihr deutsches Abi machen, vielleicht studieren, vielleicht aber auch eine Ausbildung beginnen.
Vielen Dank an Frau Künkele und ihren Deutschkurs, mit dem wir ein sehr vielfältiges Interview führen durften. Wir haben einen guten Einblick in das Leben und die Geschichte unserer ukrainischen Schüler bekommen und freuen uns sehr diesen teilen zu dürfen.
Auf ein weiteres gemeinsames Jahr!